Seit mehr als fünf Wochen bin ich nun hier, die Zeit vergeht im Flug. Ich bin bisher kaum zum Schreiben gekommen, sondern war immer irgendwie unterwegs oder verabredet.
Es fällt hier nicht besonders schwer hier Leute kennenzulernen, zumindest als Forenji (weißer Ausländer). Ich habe jedenfalls bisher um einiges mehr Handynummern gespeichert als ich mir Namen merken konnte und komme erst so langsam mit den oft sehr anders klingende Namen nach. Kennengelernt habe ich ganz unterschiedliche Menschen: Lehrer (oft sehr junge, die neben oder vor dem Masterstudium am Vocational College unterrichten) aus verschiedenen Departments, Teilnehmer an den Umgang-mit-Daten-Workshops, Leute, die mich auch der Straße oder im Minibus angesprochen haben. In letzterer Gruppe war sowohl jemand, der sich darüber geärgert hat, dass Ausländer immer erwarten würden, dass man nur Geld von Ihnen wolle, als auch Leute, die mich am Ende tatsächlich nach einer finanziellen Leihgabe, einmal aber auch nur eine TripAdvisor-Bewertung, gefragt haben, als auch einer der uns spontan einen Kaffee bezahlt hat, obwohl wir mit dem wir nur ein paar Worte gewechselt haben. Ich sollte dazu sagen, dass das Kennenlernen von den Orten, die man besucht abhängt, und auch eine Einstellungssache ist, denn in Deutschland war ich besonders mit der Herausgabe meiner Kontaktdaten deutlich vorsichtiger. Doch nun sehe ich die Offenheit gegenüber jedem und auch das Suchen nach Kontakt als Zweck meines Aufenthalts hier und empfinde viel Neugier und Freude daran.
Viele Leute auf der Straße sind überrascht, wenn ich Gelegenheiten finde, meine (leider immer noch recht begrenzten) amharischen Wörter fallen zu lassen, und ich merke, dass mir das direkt Sympathien entgegenbringt. Auch wenn hier viele staatliche und nicht-staatliche ausländische Organisationen vor Ort sind, falle ich als Weißer auch in dieser Millionenstadt überall auf. Normalerweise werde ich aber weitgehend in Ruhe gelassen. Das ändert sich jedoch spürbar, wenn ich zum Fahrrad als Transportmittel wechsle, was an sich keine schlechte Wahl ist, um auf den breiten Straßen am dichten Verkehr vorbei zu kommen. Demnächst werde ich dabei aber eine Atemmaske tragen. Scheinbar passt das Bild vom reichen Ausländer und dem armen Radfahrer hier nicht zusammen, jedenfalls kann man sich dabei schon mal wie eine Jahrmarktsattraktion vorkommen: Leute verlieren ihre Scham und rufen mir „Forenji“ oder „China“ nach, rufen mir sogar aus fahrenden Autos zu oder sind bloß belustigt und einmal sammelten sich sogar bis zu zehn Kinder an einer roten Ampel um mich, bis sie auf grün gesprungen ist.
Manchmal finde ich das ganz unterhaltsam mit der Voreingenommenheit mancher Menschen zu spielen. Beispielsweise war das Personal in dem teureren Hotel, in dem die NASA Challenge am letzten Wochenende stattfand (siehe vorherige Posts), stets freundlich, höflich und zuvorkommend, wie man den Service für den Preis halt erwartet. Als ich am Sonntag Morgen jedoch mit dem Rad ankam und auf jemanden vom Personal zugegangen bin, um zu fragen, wo ich mein Rad abstellen kann, wurde ich nicht einmal begrüßt und nur schroff gefragt „where do you want to go?“. Mit zunehmender Erklärung (einfach mehrfach die deutsche finanzkräftige Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GiZ als Organisator nennen) wurde die Miene des Herrn stets freundlicher und am Ende hat er meinen Fahrradschlüssel entgegengenommen und mein Rad auf dem bewachten Autoparkplatz geparkt und mir den Schlüssel anschließenden zu unserem Veranstaltungsraum im ersten Stock hochgebracht.
Abgesehen von dieser Ausnahme empfinde ich den Umgang hier auf der Straße insgesamt als ehrlicher als in Deutschland: Man hört die Menschen wenig Worte wie „Hallo, entschuldigen Sie bitte, vielen Dank, Bitteschön, auf Wiedersehen“ sagen, was sie aber nicht weniger tatsächlich hilfsbereit und aufmerksam macht (nur im Straßenverkehr scheinen manche keine Freunde zu kennen).
Dass sich die Leute Zeit für andere nehmen können, kann auch daran liegen, dass ich hier noch nie jemanden gestresst gesehen habe und so werden auch jegliche Formen des Wartens, Verabredungen, Leistungsgedanke bei der Arbeit oder ein neuer Strom-, Wasser- oder Internetausfall gelassen hingenommen. Ich habe recht bald aufgehört, die Stromausfälle zu zählen, die von zehn Minuten bis einmal mehr als 24 Stunden angedauert haben. Manch ein Café, Behörde, etc. hat daher einen eigenen Generator, viele aber auch nicht und so bringt das auch mich als Arbeiter am Computer gelegentlich zur Zwangspause. In der Nähe der meisten Wasserhähne findet sich entweder eine Wassertonne oder eine kleinere Art von Behälter, aus dem man schöpfen kann, wenn gerade mal kein fließendes Wasser vorhanden ist.
Feine Unterschiede zu Deutschland gibt es auch beim Thema Müll. So ist mir nach einiger Zeit aufgefallen, dass der Müll, den ich bei uns zuhause oder bei der Arbeit vom Boden aufsammle und erstmal irgendwo ablege, später absichtlich wieder dorthin heruntergeschmissen wird, weil er von dort, von einer Reinigungskraft schon wieder beseitigt werden wird und nichts auf dem Tisch weniger zu suchen hat. Konsequenterweise finden sich draußen auch wenige Mülleimer, dafür werden die Straßen aber jeden Morgen mit Besen gereinigt. Lobenswert finde ich besonders den Recycling-Wert von Glas. So wird das vergleichsweise hohe Pfand nicht nur auf Flaschen erhoben, sondern auch andere Glasbehälter und mir wurde gesagt, mancherorts bekäme man nur so viele (gefüllte) Bierflaschen, wie man Leergut im Austausch zurückbringt.
Relativ bald nach meiner Ankunft hier fand das Meskel-Fest statt (Meskel = Kreuz), an dem das Auffinden des Kreuzes Jesu mit religiösen Ritualen und Tänzen und mit dem Verbrennen von mit Grasbüscheln geschmückten kegelförmig angeordneten Hölzern zelebriert wird. Nach einer der Theorien hat der Rauch eines Feuers die heilige Helena im dritten oder vierten Jh. nach einen Traum zum wahren Kreuz geführt, mit dem Jesus gekreuzigt wurde. Zehntausende finden sich dazu jedes Jahr am Meskel-Sqare ein. Ich selbst habe jedoch nur eine kleine Version am Leipzig-Square in der Nähe meines hiesigen Zuhauses erlebt.
Wenn mich Leute fragen, wie ich Addis Abeba erlebe, sage ich oft, dass die Stadt wie ein riesiger Markt für mich ist. Denn überall, egal ob Haupt- oder Nebenstraße, gibt es kleine Buden oder auch Verkäufer ohne Fazilitäten, die alle ihre Ware anbieten: Besonders oft Tomaten, Zwiebeln, Bananen, Kartoffeln, Wasser und natürlich Injera. Alles organisch und wenn man aus dem Stadtkern raus fährt, kann man beobachten, wie noch traditionell mit pflügenden Ochsen und viel Handarbeit angebaut wird.
Erst durch den Kontrast hier, fällt wirklich auf, wie einheitlich unser Gemüse in Deutschland doch ist. Kaufen muss man oft übrigens in halben Kiloschritten, da die Wagen noch manuell mit kleinen Gewichten funktionieren. Es gibt es aber auch eigene Stände für Reifen oder Wasserhähne und auf stark frequentierten Wegen gibt es immer wieder nervtötend piepsende Personenwagen, auf denen man sich entgeltlich wiegen lassen kann.
In den ersten Wochen habe ich drei Museen der Stadt besucht:
- Das Red Terror Museum, in dem ein zu der Zeit gefangen genommener Zeitzeuge über die aus einem Militärputsch resultierende kommunistische Schreckensherrschaft von 1974 bis 1987 berichtet hat.
- Das Ethnologische Museum auf dem Addis Abeba Universitätsgelände, in dem ich aber nur sehr kurz war, da man mich schon fast eine Stunde vor Ende der Öffnungszeiten raus gescheucht hat.
- Das Nationalmuseum, Heimat der berühmten Lucy, dem vermutlich über 3 Millionen Jahre alten Skelett. Interessanter Weise glaubt hier jedoch niemand, mit dem ich aufs Thema Religion zu sprechen gekommen bin, daran, dass die Evolution mehr als eine Theorie sein könnte, da sie ja dem Bibeltext widerspräche. Das Religion hier im Allgemeinen mehr Bedeutung als in Deutschland zukommt, ist auch im Alltag zu beobachten. Beispielsweise bekreuzigen sich einige Fußgänger aber auch Autofahrer während der Fahrt, wenn sie eine Kirche passieren. Außerdem sind nach der orthodoxen äthiopischen Kirche jeden Mittwoch und Freitag Fastentage (zusammen mit den längeren Fastenzeiten kommt man auf etwa 200 Fastentage im Jahr), an denen bis zum Mittag nicht gegessen und getrunken und danach nur vegetarisch gegessen wird. Danach richtet sich beispielsweise auch das Angebot in unserer College-Kantine.
Außerdem besucht, habe ich bisher den Entoto, den zur Stadt gehörenden Berg, der neben viel Natur und kleinen Siedlungen einige Kirchen beherbergt.
Gestern habe ich an einem Ausflug des Gesamten College-Personals (etwa 250 Lehrer und andere Angestellte) zu einem Ressort zur nahegelegenen Urlaubsort Debre Zeyit teilgenommen, der von fünf Kraterseen umgeben und superschön ist. Dort wurden in Urlaubsatmosphäre Mitarbeiter für besondere Leistungen oder vor dem Ausscheiden aus dem College etc. ausgezeichnet, gegessen, getanzt und getrunken.
Als nächste Ausflüge plane ich am nächsten Wochenende in einer kleinen überwiegend deutschstämmigen Gruppe im ebenfalls von Addis aus gut zu erreichenden Nationalpark Mengesha zu zelten und die soziale nachhaltige Farm, in der mein Mitbewohner Yaye arbeitet, zu besuchen.
Ich finde es gut dass du so viele Kontakte aufbaust. Nur als Idee, vielleicht kannst du ja ein paar Menschen porträtieren. Lebensverhältnisse, Probleme, Ansichten, Wünsche, Zukunftspläne…
Und Zelten im Nationalpark hört sich spannend an!
Gute Idee, das werde ich bei einem der nächsten Male machen. Bisher wollte ich dies nicht ohne zu um Erlaubnis zu fragen machen, aber ich bin sicher, viele würden dabei gerne mitmachen. Vielleicht dann auf Englisch, sodass sie es selbst sehen können.