Von Rollstuhlrennen, Fantas und einer Lebensmittelvergiftung

Eines schönen Nachmittages, ich sitze grade in der Sonderschule, hielt mir Mana ein Bild vor mein Gesicht und rief laut „Fanta!“. Das Bild ist Teil eines Wörter-lern-Sets und im ersten Moment war ich einfach nur stolz, dass er das Wort korrekt ausgesprochen hat. Doch im zweiten Moment sah ich meine Kinder an und fragte sie, ob sie alle Fanta mögen würden. Die Reaktion war eindeutig: Hände wurden in die Luft geworfen und die Frage lautstark bejaht. Und während wir den Nachmittag weiterspielten, formte sich so langsam eine Idee in meinem Kopf. Die Kinder verlassen unser Center selten, um nicht sagen zu müssen nie. Und um für 26 Kinder eine Fanta auszugeben reicht das Geld des Centers lange nicht. Gleich am nächsten Morgen besprach ich meine Idee mit dem Teacher. Dieser nickte und sagte: „But we will need help“. Gesagt, getan: Linus und ich erwarteten sowieso Besuch aus der Hauptstadt und diesen weihten wir sogleich in unseren Plan ein. Allesamt zeigten sie sich bereit, uns zu unterstützen und so war es beschlossene Sache. Wir würden am Samstag mit einigen Kindern in die Stadt fahren und gemeinsam eine Fanta trinken. Die Vorfreude war groß – nicht nur bei den 17 Kindern, die wir mitnehmen würden, sondern auch bei mir. Es sollte für viele das erste Mal sein, das Center zu verlassen.

Samstagmorgen, 10 Uhr. Amelie, Pauline, Freddy, Jakob, Linus und ich stapfen zu meinem Center und werden von unglaublich fröhlichen und aufgeregten Kindern begrüßt. Kaum eine Stunde später sind wir alle auf dem Weg durch die Stadt in unser Lieblingsrestaurant. Die Sonne verbrennt uns, aber es werden fröhlich Lieder gesungen und gelacht. Im Restaurant bei Peter, der mittlerweile ein guter Freund von uns geworden ist, organisieren Linus und ich Amandazi (Teigbälle), Fanta und Tee. Ich helfe beim Füttern und alle essen fröhlich drauf los.

Ich sehe mich um und bin glücklich. Ich bin glücklich, weil die Kinder es sind. Was für uns eine Kleinigkeit ist, hat es geschafft all diesen Kindern ein strahlendes Lächeln in ihr kleines Gesicht zu zaubern. In Windeseile sind die Amandazi verputzt und der letzte Tropfen Fanta in ihren Bäuchen. Es wird noch ein bisschen erzählt und gelacht, doch schließlich heben wir unsere verbrannten Schultern wieder der Sonne entgegen und verlassen den Hinterhof des Restaurants.

Auf dem Weg nach Hause starren uns alle unablässig an. Sechs weiße und 17 behinderte Kinder. In einem kleinen Dorf wie Ngarama sorgt das für Aufsehen und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob man meine Aktion gut fand, oder mich dafür vielleicht sogar verurteilte. Im Grunde spielt das aber gar keine Rolle – ich würde es jede Zeit wieder tun. Der Rückweg dauert nicht so lange wie der Hinweg, was zum einen daran liegt, dass es bergab geht, sodass man sich beinahe an die Rollstühle hängen muss und zum anderen daran, dass die Jungs die Zeit kurzerhand reif für ein Rollstuhlrennen befunden haben. Was mir zunächst aufgrund eines so gut wie nicht vorhandenen Weges mein Herz stoppen lässt, wird kurz später auch von mir für sicher befunden und zum Spaß für jeden von uns, auch für die Kinder, die nicht im Rollstuhl sitzen. Alle rennen, springen und die Kinder lachen den ganzen Weg. Zurück im Center bedanken sich sie sich bei uns und wir trommelten und tanzten zum Abschied. Es geht mir nahe, wie dankbar und fröhlich jedes Kind ins Center zurückgekehrt ist. Ein Ausflug in die Stadt war für sie ein großes Abenteuer. Und ich bin nicht sicher, ob mich das glücklich oder traurig machen soll. Ein schöner Tag neigt sich dem Ende entgegen, der jeden zum Lächeln bringen konnte. Und das ist es, was ich wollte. Auf dem Rückweg setzen wir sechs uns erschöpft aber durchaus zufrieden in die Bar unseres Dorfes und bestellen Bruchette (Ziegenfleischspieße), während wir Blackstories spielen. Am nächsten Tag verlässt der Besuch uns und fährt zurück nach Kigali. Linus und ich fallen in unseren Alltag und sind eine Woche später selbst auf dem Weg nach Kigali für unseren Kinyarwanda Kurs. Dort angekommen finden wir fast alle mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Magenproblemen vor und Jakob wird noch am selben Abend mit einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus gebracht. Die Ursache ist für die Stadtmenschen schnell gefunden – das Dorf. Linus und ich lachen. Für das Dorfleben ist eben nicht jeder geschaffen.

Von Kindern, Ziegen und Avocados. Ngarama – mein neues Zuhause

Ngarama. Ein kleines, wunderschönes Dorf im Nordosten Ruandas, 4,5 Stunden von der Hauptstadt entfernt. Ein Dorf, in dem Ziegen noch Ziegen und Kinder noch Kinder sein dürfen. Wer morgens nicht von einer brüllenden Kuh geweckt wird, wacht spätestens auf, wenn die Schüler der Benebikira-School anfangen für mehrere Stunden lauthals zu singen. Dieses Schicksal ereilt auch mich jeden Morgen, mein Wecker ist mittlerweile überflüssig.

Schnappschuss auf meinem Weg zur Arbeit

So beginnt mein Tag um 6 Uhr, während ich auf dem Weg zum Bad hoffe, dass wir Strom haben. Beim Verlassen des Hauses greife ich mir meinen Schreiblock und den Regenmantel (Das Irische Sprichwort „1 Tag 4 Jahreszeiten“ könnte auch aus Ruanda stammen) und beginne mit meiner morgendlichen Wanderung zu der anderen Seite des Dorfes.
Auf den Straßen von Ngarama riecht es nach Feuer, Schweiß und süßen Speisen. Ein paar Kinder spielen auf dem Rasen und ein „Good Morning“ tönt aus ihren Kehlen, wenn sie mich sehen. Schnell beschließt auch die restliche Kinderschar von Ngarama, in den Chor einzusteigen und ein stetiges, auch gerne aus 200 Metern Entfernung gerufenes „Umuzungu“ (eine Bezeichnung für wohlhabende Weiße) begleitet mein Gehen.

Weiteres spontanes Foto

Nach heißen und vor allem lauten 45 Minuten erreiche ich das Wikwiheba Mwana Center. Die kleine Sandrine öffnet mir das Tor, umarmt mich und versucht mit einem Lächeln mehr schlecht als recht meinen Namen auszusprechen. Doch auch ich lächele und bin stolz und heilfroh, dass sie mich nicht mehr „Anna“ nennt. Auch die anderen Kinder kommen auf mich zugestürmt und ein wilder Austausch von Begrüßungen beginnt. Mit lautem Lachen setzen nun auch die Mothers des Centers (eine Art Ersatzmütter für die Kinder hier) und ich die Begrüßung fort. Jeden Morgen eine harte Probe für meine Kinyarwandakenntnisse (Kinyarwanda ist die Landessprache in Ruanda), denn ein englisches Wort erreicht hierbei nur ungern mein Ohr.

In den frühen Morgenstunden ist noch nicht viel los. In wenigen Minuten wird Lachen und Geschrei über den Platz tönen

Pünktlich um 9 Uhr nach ruandischer Zeitrechnung (ich sitze auch gerne mal bis 10.30 Uhr alleine im Klassenzimmer und versuche hilflos 15 lachende und erwartungsvolle Kinder zu bändigen), beginnt der Sonderunterricht. Der Stundenplan an der Wand sieht hübsch aus und anscheinend ist dies auch seine einzige Aufgabe. Der Teacher, dessen wirklicher Name unbekannt ist, und ich denken uns leichte Matheaufgaben aus und malen mit den Kindern, für die Rechnen zu anspruchsvoll ist. Nach einer Stunde Matheunterricht, bei dem mehr gelacht wurde als bei manch einem in der gesamten Schulzeit, schlage ich ein „easy English“- Lernbuch auf und wiederhole mit ein paar Kindern die bereits gelernten Tierbegriffe. Die Kinder, die der Sprache mächtig sind, zeigen großen Ehrgeiz ihr Sprachrepertoire auch auf die englische Sprache zu erweitern. Doch der beliebteste Zeitvertreib ist und bleibt, mir Kinyarwanda beizubringen: es wird gelacht, wenn meine Aussprache, mal wieder typisch Deutsch – zu hart – ist und jeder möchte der Nächste sein, der mir die Übersetzung für „Ziege“ zuschreit.

Unser kleiner Klassenraum im Center

Gegen 12 Uhr ist Essenszeit. Wenn meine Chefin Mediatrice, oder von allen nur Mama Kiki genannt, bei der ich jeden Tag zum Lunch geladen werde, noch nicht aus ihrem Büro in die Sonne getreten ist, helfe ich noch beim Füttern der Kinder. Nach dem monotonen aber äußerst schmackhaften Mahl bei Mama Kiki bestehend aus Nudeln, Bohnen und Maisbrot geht es zurück ins Center. Den Nachmittag verbringen wir mit Ballspielen, Memory oder dem sehr beliebten Mensch ärgere dich nicht, bei dem es wichtiger ist, mir die Farben beizubringen als wirklich zu spielen.

Unsere Physiotherapeutin Fabienne bei der Arbeit

Der Tag neigt sich dem Ende zu. Er war laut, anstrengend und ereignisreich aber vor allem voller Lachen und Freude. Erschöpft aber glücklich komme ich zuhause an. Den späten Nachmittag verbringen Linus und ich unglücklicherweise mit Waschen und Geschirrspülen, den Abend mit Kochen. Mit einem seufzen lassen wir uns auf die harten Sessel im Esszimmer sinken. Ich schaue nach draußen, während ich auf meinem Reis kaue und die Schüler der Benebikira-School zu ihren Abendgesängen ansetzen, um mit den Vögeln und Fröschen den nächtlichen Wettkampf um die lautesten Geräusche auszutragen. Hier in Ngarama, wo die Avocado besser schmeckt als irgendwo sonst, aber das Fleisch ungenießbar ist. Hier, wo die Leute dich immer am interessantesten finden und der Verkäufer auf dem Markt dein bester Freund ist. Ein Dorf in dem du dir bei Regen oder Dunkelheit alle Knochen brichst, das aber die Idylle aus einem Märchenbuch besitzt.
Ich lächele. Dieses Dorf ist eigen, es ist laut und bunt, aber vor allem ist es mein Zuhause geworden.

Letizia, Wikwiheba Mwana Center

Muraho und herzlich willkommen auf unserem Blog ♡

mein Name ist Letizia und im Moment lebe ich, wie wir alle hier, in Afrika 🙂
Ich arbeite als kleine Unterstützung im Wikwiheba Mwana Center. Das Center beherbergt und betreut geistig und körperlich behinderte Kinder. Es befindet sich in Ngarama Sektor, Gatsibo District Eastern Province in Ruanda.

In Ruanda gibt es keine Altersversorgung oder Sozialhilfe. Alleinstehende alte oder behinderte Menschen sind daher in hohem Maße auf Hilfe angewiesen. Immerhin hat sich, seit das National Paralympic Committee of Rwanda (NPC) existiert, die Situation von Kindern, Frauen und Männern mit Behinderung in Ruanda deutlich verbessert. Vor einiger Zeit noch wurden behinderte Menschen ausgegrenzt, von der Politik, der Gesellschaft und der eigenen Familie. Heute gibt es in Ruanda viele Interessenverbände für Menschen mit Behinderung. Doch noch immer ist die Geburt eines behinderten Kindes für viele Familien, grade auf dem Land, ein negatives Stigma.

Das Wikwiheba Mwana Zentrum begann seine Aktivitäten im April 2007. Es wurde auf Initiative eines Elternteils mit drei Kindern mit Epilepsie gegründet. Ursprünglich war es eine Vereinigung von Eltern von Kindern mit Behinderungen verschiedener Art. Das Center beherbergt heute Kinder, die keine Familien haben, deren Familien nicht genau bekannt sind oder Unterstützung benötigen.

Das Wikwiheba Mwana Centre und die 16 Mitarbeiter versuchen Kindern alles zu bieten, was sie für ihr Wohlergehen benötigen, einschließlich Unterkunft und Ernährung, Kindergesundheit, Bildung, Erholung, medizinische Versorgung… – alles was ein Mensch braucht, um jeden Tag ein normales Leben zu führen. „Ich sage ein normales Leben, denn vor der Gründung des Zentrums von Wikwiheba Mwana wurden die betreffenden Kinder fast ihrer gesamten Grundrechte beraubt“, schreibt Mukasharangabo Mediatrice, Koordinatorin des Centers und Gründerin der Wikwiheba Mwana Organisation.

Eines der ersten gemeinsamen Bilder während des Sonderunterrichts

Die Arbeit in dem Center ist eine große Herausforderung für mich, der ich mich jedoch gerne stelle. Ich bin gespannt was ich in meiner Zeit in Afrika noch lernen kann und ob ich mein Wissen praktisch einsetzen kann, um den Informationsaustausch voranzubringen.

Vor allem aber freue ich mich auf eine spannende und schöne Zeit.♡

Murabeho! Bis bald, Letizia 🙂