Gemischtes

Service-Wüste oder Service-Paradies?

Ich habe schon ein paar Mal darüber nachgedacht, ob der durchschnittliche äthiopische Service, vor allem die Bedienung im Restaurant, besser oder schlechter als bei uns in Deutschland ist.

Off-Topic: Ich habe den "Äthipischen Morgan Freeman" gesehen :)
Off-Topic: Ich habe den „Äthiopischen Morgan Freeman“ singen sehen 🙂

Manchmal gibt es keine Begrüßung, kein „was darf ich Ihnen bringen“, kein „bittesehr“, „danke“, „wie hat es Ihnen geschmeckt“‚ „kommen Sie bald wieder“. Der Umgang ist oft informell, eher so wie am Essentisch zuhause. Viele Kellnerinnen und Kellner reden nicht viel und wenn es eine Menükarte gibt, heißt das noch lange nicht, dass man die aufgeführten Gerichte auch bestellen kann.

Doch es gibt diese kleine Dinge, die super nett sind und zeigen, wie sich Kellner und Inhaber auf ihre Art bemühen und herzlich sind. Als ich meine Erkältung hatte, habe ich immer gerne Kashir (Ingwertee) bestellt. In der Pizzeria meines Vertrauens gab es keinen, doch der Besitzer und gleichzeitige Kellner ist für mich die Straße runter zum nächsten Restaurant mit Ingwertee gelaufen, um ihn mir zu bestellen und wenig später brachte mir jemand Unbekanntes mein Wunschgetränk. Auf diese Weise kann man vegetarische Gerichte bei der Metzgerei und in der Kneipe bestellen und unser Kantinenessen wird direkt ins Büro gebracht. Alles natürlich ohne Aufpreis. Anderes Beispiel: Am letzten Wochenende habe ich mir in einem schickeren Restaurant einen Nachtisch gegönnt. Laut Kellner gab es unter anderem Karottenkuchen, doch als der Kellner runter ins Erdgeschoss zur Konditorei ging, fand er keinen mehr vor. Und so schoss er Fotos, von denen ich mir dann auf seinem Smartphone einen Kuchen ausgesucht habe. Er hat übrigens super geschmeckt.

Zum zweiten Mal die Heimat verlassen / Zweiter Abschied

Ausblick vom Wabi Shebele Hotel: Einige Minibuslinien vom Mexico Square
Ausblick vom Wabi Shebele Hotel: Abfahrtspunkte und Ziele der Minibuslinien vom Mexico Square aus

Nach drei Wochen Umbau haben wir nun komplett neues Küchenpersonal in der Mitarbeiterkantine. Beim Händewaschen im an die Küche angrenzenden Waschraum kam die neue Küchenchefin neulich auf mich zu und hieß mich in  ihrer Küche willkommen. Daraufhin habe ich sie im Tegbare-id College willkommen geheißen, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen von uns wäre ich der Neue. Denn ich fühle mich in der Stadt nicht mehr als Neuling, ich habe schon Einige kommen und gehen sehen. Seit ein paar Monaten haben wir auch eine neue Schulleiterin. In einem ersten Termin stellte sich heraus, dass wir uns im Ministerium für Wissenschaft und Technologie schon mal unterhalten und beruflich Handynummern ausgetauscht hatten. Ich habe einen großen Teil des öffentlichen Nahverkehrsnetzes im Kopf (kleiner Ausschnitt auf dem Foto oben), ich kenne Preise und weiß, wo ich was bekommen kann. In dieser Woche ist mein 14. Mitbewohner bei uns eingezogen, was hauptsächlich daran liegt, dass wir 6 Schlafräume im Haus haben, die sich meist nur Expats leisten wollen, die nur kurzfristig bleiben. Ich kann mir als Freiwilliger auch nur das 4qm-Zimmer leisten, doch das ist es mir wert, denn die Veranda vor unseren Garten ist eine wahre Oase in der Großstadt. Jedenfalls kenne ich mich in Addis Abeba mittlerweile besser aus als in jeder deutschen Stadt, in der ich je gelebt habe. Vermutlich weil ich die Zeit intensiver erlebe und weil man sich nicht auf das Internet verlassen kann. Man muss vieles einfach wissen oder zumindest wissen, wer einem helfen kann.

Meine Registrar-Büro Familie werde ich sehr vermissen :/ Hier gab's Freude über den Überraschungsgeburtstagskuchen :)
Meine Registrar-Büro Familie werde ich sehr vermissen :/ Hier gab’s Freude über den Überraschungsgeburtstagskuchen 🙂

Ich habe jetzt nur noch zwei Arbeitstage und drei Urlaubswochen vor mir. Nach einer schönen, aufregenden Zeit, schließe ich meine Übergabe ab und nehme ich so langsam emotional Abschied, freue mich Familie und Freunde wiederzusehen, freue mich auf eine abwechslungsreiche Küche, und freue mich, in der Öffentlichkeit wieder unauffällig in der Masse untertauchen zu können. Aber ich freue mich auch schon darauf, Äthiopien wiederzusehen!

Surf the Globe

Traditionelle und neu bemalte Wände in Harar
Harar mit traditionellen und neuen Hauswänden

Vor zwei Monaten habe ich einen Wochenendausflug nach Harar und Dire Dawa im Osten Äthiopiens mitgemacht. Die beiden Städte waren schon wieder ganz anders als die Orte, die ich zuvor gesehen habe. Harar, umgeben von einer vollständigen Stadtmauer, wird wegen ihrer Architektur und der muslimischen Geschichte als das „Marokko Äthiopiens“ bezeichnet. Über die Bewohner Dire Dawas sagt man, sie seien besonders besonnen und schwer aus der Fassung zu bringen, was sich mit unserem entspannten Besuch dort deckt. Es war am Tag der Putschversuche (siehe letzter Abschnitt) und während wir auf der Rückfahrt weit über 10 mal angehalten und kontrolliert wurden und in Addis kaum jemand draßen war, haben wir in Dire Dawa kaum etwas davon gespürt.

Karawane in Dire Dawa

Hong, eine meiner Mitreisenden, ist in meinem Alter und reist schon seit vier Jahren durch die Welt. Ich habe sie als sehr positiven sympathischen Menschen kennengelernt. Als ich ihren Blogartikel gelesen habe, sind mir allerdings zwei Dinge aufgefallen. Es mag trivial sein, doch das Ausmaß hat mich überrascht:

  1. Als (temporary) Resident habe ich natürlich eine andere Perspektive, es ist kein Reiseblog, ein paar Dinge habe ich nicht so sehr erwähnt, die für einen potentiellen Alleinreisenden, besonders für eine potentielle alleinreisende Frauen wichtig sein könnten. Daher empfehle ich durchaus ihren Artikel mal zu lesen (https://www.surf-theglobe.com/ethiopia). Ihre Punkte sind valide und ich teile die Erfahrungen. ABER
  2. Der genannte Artikel berührt viele Themen teilweise ohne Erklärung und ohne genauer auf Hintergründe einzugehen. Daher möchte ich in den nächsten Abschnitten einige Aussagen dazu kommentieren:

Fun Facts / Geschichte

Die Einleitung beginnt mit einigen Fun Facts „Did you know that Ethiopia is the … on this planet? “ und geht weiter mit:

Actually, it was a model country for Africa before its military regime, but unfortunately it fell back to one of the poorest countries after the communist fall.”

Ich habe kein Problem mit dieser Aussage. Die Statistiken über Äthiopiens niedrige Wirtschaftsleistung und der niedrige Rang in dem Human Development Index Ranking sind Fakten. Das Thema Armut kommt auch unten noch was. Das genannte kommunistische Militärregime von 1974 bis 1987 wird allgemein „Derg“ genannt. Viele Menschen starben damals und wurden gefoltert. Im Red Terror Museum in Addis Abeba kann man darüber viel erfahren u.a. von einem Zeitzeugen. Es ist das am besten ausgestaltete Museum, das ich in Äthiopien gesehen habe. Eine Impression, an die ich mich erinnere, ist ein kleiner Raum mit in mehreren Reihen aufgestellten Totenköpfen der Opfer, der mich stark an Holocaust Gedenkstätten in Deutschland erinnert. Die Zeit war tatsächlich einschneidend in Äthiopiens stolzer Geschichte.

Etwa 100 Jahre zuvor war Menelik II an der Macht, ein kleiner Teil aus der „Model Country Time“. Er gilt als der Begründer des modernen Äthiopiens. Sein Wikipedia-Artikel (https://en.wikipedia.org/wiki/Menelik_II) ist voller interessanter vermeintlicher Gegensätze. Hier nur ein paar Appetithappen, lests ruhig mal bis zum Ende:

 The process of territorial expansion and creation of the modern empire-state was completed by 1898.

  • Externally, Menelik’s victory over the Italian invaders earned him great fame.
  • He is widely called „Emiye Menelik“ [my mother] in Ethiopia for his forgiving nature and his unselfish deeds for the poor.
  • Menelik’s armies „dreadfully annihilated more than half“ of the Oromo (Galla) population down to 5 million people.
  • During Menelik’s reign, the great famine of 1888 to 1892, which was the worst famine in the region’s history, killed a third of the total population which was then estimated at 12 million. [Heute sind es mehr als 100 Millionen Menschen.]
  • By the mid-1890s, Menelik was actively suppressing slave trade, destroying notorious slave market towns and punishing slavers with amputation. […] but since all tribes were not against it and the country was surrounded on all sides by slave raiders and traders, it was not possible to entirely suppress this practice even by the 20th century.
  • [Menelik II] introduced electricity to Addis Ababa, as well as the telephone, telegraph, the motor car and modern plumbing.
  • In addition to Ethiopian languages of Amharic, Oromo, Afar and Tigrigna, Menelik reportedly spoke French, English and Italian fluently. He read many books and was educated in finance […].
  • Woizero Befana was separated from Menelik [after 17 years of marriage because she was involved in a failed plot to replace him on the throne by one of her sons of a previous marriage], but Menelik apparently was still deeply attached to her. An attempt at reconciliation failed, but when his relatives and courtiers suggested new young wives to the King, he would sadly say „You ask me to look at these women with the same eyes that once gazed upon Befana?“

Bürokratie und mehr

Hong schreibt zu Beginn auch einen Kommentar zur aktuellen Verwaltung:

“Bureaucracy is still heavily used to an extent as I had seldom experienced in other countries. So much so that I reckon they can’t think outside the box and mostly don’t question the meanings of the tasks they do.”  

Ich stimme total zu, dass es eine krasse Bürokratie durch den ganzen Staatsapparat vermutlich noch aus der kommunistischen Zeit gibt. Doch die Schlussfolgerung ist Quatsch. Lasst mich zuerst zwei Beispiele für die Bürokratie geben

  1. Regulierte Restaurants: An einem der letzten Wochenenden wollten wir Pommes als Vorspeise bestellen während wir auf die anderen gewartet haben. Dem Klischee entsprechend waren wir Deutschen natürlich zuerst da. Der Kellner sagte uns, Pommes gäbe es nicht. Nach dem Blick in unsere enttäuschten Geschichter fügte er aber hinzu, wir könnten aber einen Burger mit Pommes als Beilage bestellen. Das wollten wir nicht ganz so einfach hinnehmen, also schickte man uns jemanden, der in der Hierarchie wohl etwas weiter oben stand, und uns das gleiche nochmals auf English erklärte. Er sagte, er gäbe keinen Preis für Pommes ohne Burger. Wir baten ihn, sich einen Preis auszudenken, doch auch das ging nicht. Vermutlich funktioniert das nicht mit dem Kassensystem. Ich hatte vorher schon ähnliche Erfahrungen gemacht, z.B. als es uns einige Überredung kostete von der Kaffeebeilage Popcorn eine extra Portion zu bekommen.
  2. Visumsangelegenheiten: Für die Bewerbung um meine temporäre Aufenthaltsgenehmigung bereitete ich zuerst einen Brief an das Immigrationsministerium vor, in dem mein College bestätigt, das ich für sie unbezahlt und arbeitsmarktneutral arbeite. Ein stellvertretender Schulleiter unterschieb den Brief für mich und schickte mich in ein Büro, das ich vorher (und auch nachher) noch nie gesehen hatte. Ich glaube, es ist nur dafür da, Briefe abzustempeln und Umschläge zu versiegeln. Mit dem versiegelten Umschlag brachte mich ein Lehrer zum Ministerium, wo mein Begleiter allerdings keinen Eintritt erhielt, obwohl er nicht nur zum Übersetzen eine große Hilfe gewesen wäre. Ich zog eine Wartenummer und dank des Tipp des Lehrers vorher ließ ich in einer Ecke schon mal Reisepass und Visum kopieren und Dank des Tipps eines Fremden füllte ich schon mal ein Formular über mein Vorhaben aus. Nach einigen Stunden konnte ich zum ersten Schalter gehen. Der Beamte nahm meine Dokumente entgegen und schickte mich zum nächsten Schalter. Dort machte man ein (schiefes) Foto mit einer Webcam von mir und nahm meine Fingerabdrücke. Am nächsten Schalter konnte ich dann auch schon bezahlen, wenn ich mich richtig erinnere, doch weil die Warteschlangen dafür sehr chaotisch waren und Schalter öffneten und schlossen, dauerte das auch eine Weile. Am nächsten Tag konnte ich dann in einem anderen Büro meinen Ausweis abholen. Das ging zum Glück sehr schnell und unkompliziert.

Ich stimme auch zu, dass ich kaum Widerstand gegen seltsame Regeln oder gar Bemühungen eigene Ideen beizutragen und substantielle Verbesserungen herbeizuführen erlebt habe. Doch ich teile die sicher provokant gemeinte Folgerung I reckon can’t think outside the box and mostly don’t question the meanings of the tasks they do überhaupt nicht. Man can viele kreative out-of-the-box-Lösungen in der Gastronomie, Transport und im Privaten finden – sogar in den staatlichen Büros, nur halt nicht in deren Prozessen.  Aus den Konversationen mit lokalen Kollegen schließe ich, dass sie schon auch die Bedeutung ihrer Aufgaben hinterfragen. Doch beim persönlichen Hinterfragen endet es dann auch schon. Es gibt keinen Anreiz Mühen in Verbesserungen zu stecken, wenn man sich nicht mit seinen Aufgaben identifiziert, wenn der Lohn gerade mal ausreicht um die Grundbedürfnisse zu decken und wenn hervorragende Leistungen genauso wenig Einfluss auf die Karriere haben wie Arbeit nach Vorschrift. Von vielen Seiten habe ich gehört, dass höhere Positionen nach Beziehungen und Ethnizität vergeben würden und nicht nach dem am besten passenden Profil oder besonderem Engagement. Gleichzeit zwingt der schwache Arbeitsmarkt Leute dazu, Stellen anzunehmen, für die sie keine Leidenschaft aufbringen können. Um meine Beobachtungen zusammenzufassen: Ich denke, dass das Leistungsprinzip, das die westliche Arbeitskultur auszeichnet, im äthiopischen Staatsdienst nicht zum Tragen kommt und es einen Mangel an eine Führung gibt, die motivierend, fordernd und fördernd und leistungsorientiert anstatt nur autoritär ist.

Getting Around in Addis Ababa

Musik- und Tanzvorführung im Totot Restaurant

Wie in Hongs Artikel geschrieben, bietet die Hauptstadt Addis Abeba tatsächlich nicht allzu viel an Freizeitaktivitäten. Doch mit der Zeit  habe ich doch einige schöne Plätze gefunden. Und zwar genug um dafür noch einen eigenen Reisetipps-Text zu schreiben.

Daher hier nur ein Kommentar zum Herumstreunen in Addis Abeba:

Hong schreibt dazu:

Strolling in the city is (very) difficult. I once walked around the city for 10 km and felt very uncomfortable because many uneducated people had always shouted at me “China, China” or “Ferengi, Ferengi”. In the long run, it is not only annoying but harassment, too. By the way “Ferengi” means foreigner in Amharic.

[…] Harassment was just one part of this journey. I don’t know if I just came in a very difficult time or if it is very normal what happened to me.

Totot Restaurant wenig später

Am Anfang ging es mir ähnlich. Ich wollte nirgends stehen bleiben, mich nirgends alleine hinsetzen, etc. Heute werde ich kaum noch auf diese Weise angesprochen oder gerufen, vermutlich weil ich eine ganz andere Sicherheit ausstrahle. Vor allem hat sich aber mein Umgang damit verändert, wenn es passiert. Wenn ich gut drauf bin, gehe ich darauf ein, frage zurück, was los sei oder was ich für sie tun kann. Dann kommt eigentlich immer nur eine fröhliche Frage nach meinem Befinden zurück. Ich grüße zurück ohne stehen zu bleiben und wir beide lächeln. Es gilt nicht als unhöflich beim Sprechen aneinander vorbei zu gehen, das macht man auch beim Grüßen von Bekannten unterwegs. Auf diese Weise laufe ich heute immer ganz entspannt durch die Stadt. Ich denke vieles ist Eingewöhnung und Einstellung. Nur die vielen Löcher in den Gehwegen nerven.

Ich möchte jetzt keine allgemeine Empfehlung geben, denn ich habe von sehr vielen ausländischen Frauen gelernt, dass Kommentare von oft Betrunkenen sehr rüde sexistisch ausfallen können und vermutlich auch bedrohlicher als auf mich wirken. Unabhängig davon gilt für alle: Je selbstverständlicher man umherläuft, desto weniger fällt man aus dem Rahmen und desto weniger Leute interessieren sich für einen. Und wenn man blöd angemacht wird, ist das meist gar nicht böse sondern eher neugierig und sogar freundlich gemeint. Einfach mal zurück „grüßen“ und wenn man ungenehme Gespräche vermeiden möchte, dabei einfach weitergehen.

Armut

Zitat von surf-theglobe.com:

I think traveling Ethiopia is seriously not for the faint-hearted. It was shocking for me to see the poorest country I have ever traveled to. Just to give you an idea, in the Human Development Index, it is ranked 174th out of 188 countries (just for comparison- Germany is number 5 on the list).

Was meine Sicht auf Armut in Äthiopien betrifft, bin ich sehr zwiegespalten. Zum einen denke ich oft, es ist nicht so schlimm, wie es scheint. Z.B. haben laut Weltbankdaten (https://www.worldbank.org/en/topic/poverty/publication/ethiopia-poverty-assessment) zwar 27,3% weniger als 1,90 US Dollar am Tag zur Verfügung. Jedoch haben nach Miete viele meiner Lehrer- oder Bürokollegen auch nicht mehr als das und kommen damit ganz gut aus, haben saubere Kleidung, genug zu essen und z.T. Smartphones und Laptops. In Addis Abeba sind die Mieten super hoch, meine beträgt 160€. Wenn ich irgendwo auf dem Land oder weit am Stadtrand kaum Miete zahlen würde, könnte ich mit 50€ auch auskommen ohne zu hungern oder Grundhygiene zu vernachlässigen. (Heißt natürlich nicht, dass das alleine erstrebenswert ist!)

In der Hauptstadt gibt es laut einer Schätzung bei BBC 50.000 bis 100.000 Obdachlose (https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia), von denen viele Kinder und schwer Behinderte sind. So schwer das auch anzusehen ist, ich hätte doch deutlich weniger geschätzt und zumindest sieht man nur in Ausnahmefällen jemanden ausgehungert (mir mögen vielleicht zwei Untergekommen sein) und es gibt keinen krassen Winter zu überstehen. Was mich daneben betroffen macht, ist die schlechte medizinische Versorgung, selbst wenn man sie sich vom Ersparten, oder weil Freunde zusammengelegt haben, sogar leisten kann.

Wenn man aus Addis weiter raus fährt, sieht man neben den Straßen oft Erwachsene und Kinder leben, die versuchen irgendetwas z.B. ein einzelnes Huhn zu verkaufen. Das ist sicher nicht für die zart besaiteten und die schwierigen Regionen wie z.B. Somaliland habe ich noch gar nicht gesehen. Genauso wenig wie weitgehend isolierte Stämme, die ich nie besucht habe, weil Vorstellung einer Tour dorthin für mich etwas von einem Menschenzoo hat.

Gruppe von Kindern, die Kühe vom See zurück führen
Gruppe von Kindern, die Kühe vom See zurück führen

In den moderateren Städten bekommt man davon wenig mit. Genau wie davon, dass laut UN 20% der Mädchen unter 18 verheiratet werden (ein BBC Artikel über Solarlampen als Gegenmittel behauptet sogar 40% https://www.bbc.com/news/av/stories-49072274/stopping-child-marriage-with-solar-lanterns). Als ich diese Info geschockt meinen Freunden zeigte, erwiderten sie, das wäre früher so gewesen, heute nicht mehr. Mit Bildungsdaten verhält es sich ähnlich. Ich glaube, dass selbst die meisten Äthiopier kein klares Bild davon haben, wie es in den entlegeneren Ecken aussieht. Ich glaube, es tut sich auch viel positives in der Hinsicht. Beispielsweise ist auch die Geburtenrate pro Frau von 7,1 Kindern 1990 auf 4,1 im letzten Jahr gesunken während die Lebenserwarten stark steigt. Was man in schon häufiger überall sieht, ist Kinderarbeit. Kinder die für wenig Geld Schuhe putzen, im Minibus kassieren, Vieh hirten oder auf das Geschäft der Eltern aufpassen, wenn eigentlich Schulzeit sein sollte. Ein Freund hat manchmal in den Ferien die Ziegen und Kühe der Familie geführt. In dem Rahmen als Lernerfahrung finde ich das sogar gut. Ich hoffe aber nicht, dass die Gesetze das in Fabriken oder ähnlichem in regulärer Basis zulassen, doch ich fürchte, die Praxis sieht auch anders aus.

Eine gute Sache finde ich, dass während des starken wirtschaftlichen Wachstums der Unterschied zwischen arm und reich in Äthiopien zu den geringsten der Welt gehört (vgl. https://www.worldbank.org/en/topic/poverty/publication/ethiopia-poverty-assessment).

Basic Needs / Infrastruktur

Hong schreibt auf ihrem Blog:

After a few days, I accepted the fact and got used to life without electricity half of the time. The government basically shuts down the electricity for half of the day or more in many districts of the cities in order to save electricity. But I don’t believe it. I also didn’t have internet for a few days.

[…] Sometimes off, sometimes on. They even completely shut down the internet in the whole country for 3 days allegedly because of ‘national exams’. And the worst was: One time we ran out of water and I didn’t have access to water for 2 days, which is the most basic human need.

[…] Also while I was there, there was a military coup and the whole country went crazy. Which means out of nowhere, they shut down the internet for the whole country for nearly a week.

So problematisch jede Minute ohne Strom, Wasser, Internet auch sein mag und so schwer die wirtschaftlichen Folgen. So extrem empfinde ich die Ausfälle bzw. ihre Auswirkungen nicht. Stromausfälle sind keine Seltenheit. Daher haben viele Organisationen wie Krankenhäuser, große Hotels und sogar manche Kneipen und Friseure ihre eigenen Generatoren. In unseren Collegebüros haben wir viele UPS Geräte (unterbrechungsfreie Stromversorgung), leider halten die nur alle nur noch wenige Minuten. Witzigerweise haben wir nur einen im Büro, dessen UPS unerklärlicher Weise noch Strom für einige Stunden speichert. Von Mai bis Juli ist der Strom tatsächlich wegen Wassermangels in den Wasserkraftwerken, die den Großteil der nationalen Stromproduktion ausmachen, stark rationiert worden. Die Einschränkung bedeutete, dass abwechselnd in allen Stadteilen der Strom in diesen Monaten gezielt 6 bis zu 18 Stunden am Tag abgestellt wurde. Zum Glück ist nun wieder Normalität eingekehrt und das Stromnetz wird weiter ausgebaut.

Gespeichertes Wasser bei der Händewaschecke der Mitarbeiterkantine

Wasser läuft auch nicht immer konstant durch die Leitungen, oft einige Tage nicht. Das heißt aber nicht, dass es keine Wege gäbe damit umzugehen. Wie die meisten, die sich das leisten können, haben wir einen großen Wassertank auf dem Dach, der bis auf zwei Mal in meinem Jahr alle Ausfälle gepuffert hat. Wenn man keinen Tank hat, wie unser College, füllt man ganze Kanister oder kleine Plastikflaschen vorsorglich mit Wasser auf, um sich dennoch stets Hände waschen und Kaffee kochen zu können. Mit Trinkwasser hatte ich zum Glück nie ein Problem, 20l Kanister und Plastikflaschen waren in meiner Zeit immer da und der Preis konstant.

Von oben kommt derzeit genug Wasser. Doch so langsam neigt sich die Regenzeit aber dem Ende zu und der Himmel wird klarer

In meinem Jahr hatte ich bisher drei Phasen mit Abschaltung des Internets von bis zu einer ganzen Woche. Einmal wegen Spannungen als ich angekommen bin, und nun aktueller nach dem von Verschwörungstheorien begleiteten Putschversuch: Darüber gibt es viele ausführliche internationale Berichte z.B. https://globalvoices.org/2019/08/07/in-ethiopia-disinformation-spreads-through-facebook-live-as-political-tensions-rise/# aber auch kurze deutsche Nachrichten z.B. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/moeglicher-putschversuch-aethiopischer-armee-chef-getoetet-16249767.html ). Diese Ausnahmezustände kann ich irgendwie noch nachvollziehen, auch wenn sie einen Rückschlag für die Pressefreiheit bedeuten. Doch beim dritten Mal lag es vermutlich nur an den National Entrance Exams. Auch wenn es offiziell nie bestätigt wurde, spricht vieles dafür (es sind wohl Lösungen abhandengekommen oder so und das Internet wurde auch schon in der Vergangenheit während der Prüfungszeit stark gedrosselt). Dafür müsste man doch andere Lösungen finden können – und wird man in Zukunft sicher auch.

Abspann / Reste aus der Bilderkiste

Seit mein altes Handy geklaut wurde, sind meine Photos leider nicht mehr so scharf :/

Mitarbeiter von Felek ( http://www.myfelek.com/index.php/about-us ) beim Schöpfen von Recycling-Papier. Ich habe mir gleich drei individualisierte Notizbücher mit nachfüllbarem Papier dort anfertigen lassen
Nähe Debre Lebanos. Angeblich kommt man von den Gräbern dort direkt in den Himmel
Nähe Debre Lebanos
Nähe Drebe Libanos
Schlaglöcher mit Straße
Chinesischer Expressway
Mein Freund Teddy und ich im Blutspendezelt
Fund zu Hause
Nähe Debre Lebanos
Stadtrand von Addis. Rechts sieht man einen der genannten Wassertanks

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