Es ist Montag der 10. Dezember, ein Tag nach dem zweiten Advent, und ich sitze draußen auf unserer Veranda. Es ist ausnahmsweise mal kühl, ein Blitz erhellt die Dunkelheit und ein paar Sekunden später fängt es an, wie aus Eimern zu schütten. Ich flüchte mich nach drinnen. Kurz ist der Strom weg, nach 5 Minuten gehen die Lichter aber wieder an. Von fern tönt Musik von irgeindeiner Veranstaltung. Hier ist gerade die Festival-Hochsaison, überall stehen Bühnen, so gut wie jedes Wochenende ist irgendetwas los in Jinja. Morgen fängt hier dann die Landwirtschaftsmesse an, anscheinend eine ziemlich große Sache. Richtig ruhig ist es hier zur staaden Zeit irgendwie nicht. Aber trotzdem und auch trotz der sommerlichen Temperaturen kommt bei mir so langsam Weihnachtsstimmung auf, befördert auch durch die Plätzchen, die mir meine Familie geschickt hat. Gestern waren wir im Mabira Forrest, einem kleinen Regenwald ganz nahe an Jinja gelegen. Auch wenn der Wald mit seinen riesigen Brettwurzelbäumen, Lianen und seltsamen Pflanzen sehr aufregend war, irgendwie war die Wanderung auch ein bisschen besinnlich und passte für mich gut zum Advent.
Es ist ziemlich viel passiert, seit ihr das letzte Mal von mir gehört habt. Das liegt einerseits daran, dass ich dem örtlichen Volleyballclub beigetreten bin und so fast jeden Tag direkt nach der Arbeit ins Training fahre und so weniger Zeit zum Schreiben habe. Zum anderen Teil liegt es daran, dass ich arbeitstechnisch einfach viel mehr eingespannt war als bisher. Neben dem Fahrrad-Ambulanzprojekt, das mich weiterhin beschäftigt hat, haben sich auch noch zwei weitere Projekte entwickelt. Einmal das von mir initierte Lastenrad-Projekt, für das ich ein Konzept verfasst habe und für das ich derzeit das Fundraising vorbereite. Und dann „SoccAfrica“, ein von einer deutschen Partnerorganisation gestartetes Projekt, bei dem deutsche Bundesligaprofis Fahrräder an junge Fußballerinnen und Fußballer in Uganda, Namibia und Burkina-Faso spenden sollen. Vonseiten FABIOs bin ich jetzt der Hauptverantortliche für das Projekt und helfe bei der Entwicklung des Konzepts und beim Fundraising. Über diese beiden Projekte werde ich aber in Kürze nochmal einen Blogartikel verfassen.
Und was ist sonst noch so passiert?
Am 9. Oktober war Independence Day. Dieses Jahr jährt sich die Unabhängigkeit von Großbritannien zum 56. Mal. Der Feiertag kommt irgendwie unerwartet und wir wissen nicht so recht, was wir damit anfangen sollen. Was macht man denn als Ugander da? Auf Facebook jedenfalls häufen sich patriotische Botschaften und Bildchen, die „Happy Independence Day!“ wünschen. Als wir so etwas ratlos am Frühstückstisch sitzen, ruft Joel, ein Kollege meines Mitbewohners Jakob an und fragt uns, ob wir Lust auf eine Bootstour auf dem Viktoriasee haben. Das haben wir natürlich und 20 Minuten Boda-Fahrt später stehen wir am Strand von Walukuba/Maseese, einem nördlichen und etwas ärmlichen Stadtteil Jinjas. Am alten Kai sind Sessel aufgebaut, auf denen man sich mit dem See im Hintergrund und Uganda-Flaggen links und rechts fotografieren lassen kann. Für die Bootstour ist es natürlich äußerst praktisch Joel dabeizuhaben, der den Preis auf einen Bruchteil dessen verhandeln kann, was wir als „Mzungus“ zahlen würden. Also geht es los, vorbei an den Unterwasser-Käfigen für Viktoriabarsche, der Gefängnishalbinsel, die der König von Busoga extra für diesen Grund hat aufschütten lassen, vorbei an den Fischermärkten bis hin zum alten Hafen aus der Kolonialzeit. Der Guide erklärt uns, die Schiffe dort kämen aus Tansania und Kenia und brächten Waren aus China und anderen Ländern. Inzwischen habe ich aber erfahren, dass heutzutage so gut wie alle Waren von den Häfen Mombasa und Daressalam über LKWs ins Land kommt und der Hafen schon lange nicht mehr genutzt wird.
Eine Woche später geht es mal wieder nach Kampala. Zusammen mit meinem deutschen Kollegen Georg aka „George“ wollen wir uns das Länderspiel Uganda vs. Lesotho ansehen. Es handelt sich um ein Qualifikationsspiel zur Afrikameisterschaft nächstes Jahr in Kamerun. Auf der Hinfahrt erläutert uns Georg die fußballerischen Verhältnisse in Afrika. Angeblich sind die „Uganda Cranes“ eine der besten Mannschaften Ostafrikas, letztes Jahr wäre um ein Haar die erste WM-Qualifikation geglückt, man scheiterte aber knapp an Ägypten.
Das „Nelson Mandela National Stadium“, oder einfach „Namboole Stadium“ steht etwas außerhalb im Westen der Stadt auf einem Hügel und ist von weitem sichtbar. Schnell kaufen wir uns noch Tickets aus irgendeinem mysteriösem Auto mit abmontiertem Nummernschild für schlappe 15.000 Schilling (ca. 3,50€) und reihen uns in den Zug hoch zum Stadion ein. Auf dem Weg dorthin muss ich gefühlt 100 Personen abwehren, die mir irgendwelche Fanartikel verkaufen wollen. Als mir ein Mann mit Pinsel und schwarzer, roter und gelber Farbe auf mich zukommt, überlege ich kurz, mir spaßeshalber statt der ugandischen die deutsche Fahne aufmalen zu lassen, lasse es dann aber bleiben. Als wir kurz vor Spielbeginn am Gate ankommen, ist der Andrang schon groß. Wir werden förmlich eingequetscht in den drängelnden Menschenmassen. Ich kann sogar meine beiden Füße hochheben und werde allein von dem Druck der Menschen um mich herum in der Luft gehalten! Als wir endlich durch die von Soldaten durchgeführten Ticketkontrollen sind, fühlen wir uns, als wären wir einmal durch den Fleischwolf gedreht worden. Später erfahren wir noch, wie es anderen Freiwilligen beim Einlass zu diesem Spiel ergangen ist. Bei den einen erklärten die Soldaten die Tickets aller Anwesenden für ungültig woraufhin die Menschen versuchten, über die Zäune zu klettern und das Militär Wasserwerfer einsetzte. In dem darauf folgenden Chaos gelang es ihnen, doch noch ins Stadion zu kommen. Die anderen Freiwilligen wählten dagegen den ganz eleganten, wenn auch etwas fragwürdigen Weg: 5000 Schilling an den Polizeibeamten und schon war man durch den Hintereingang im Stadion…
Als wir endlich drinnen sind, läuft das Spiel schon seit 5 Minuten und kaum haben wir uns hingesetzt, steht es auch schon 1:0 für die Cranes. In den folgenden 90 Minuten hat Lesotho den Ostafrikanern wenig entgegenzusetzen und nach einem munteren Spiel gewinnt Uganda verdient mit 3:0 gegen die Mannschaft aus der südafrikanischen Enklave.
Am darauffolgenden Montag hat der deutsche Botschafter in Uganda alle im Land tätigen deutschen Freiwilligen zu einem Empfang in seiner Residenz im Kampaler Nobelviertel Kololo geladen. Jeder von uns soll möglichst mit einem Vertreter seiner Organisation in Uganda kommen. Da die deutsche Botschaft auch Projekte meiner Organisation FABIO sponsert, lässt es sich meine Chefin Katesi nicht nehmen, persönlich aufzutauchen. Ich hatte eigentlich mit einem Haufen von vielleicht 50 Freiwilligen gerechnet. Als wir dann aber ankommen, befinden sich dort bestimmt schon 200 junge Deutsche. So viele Muzungus habe ich seit zwei Monaten nicht mehr gesehen! Zu Beginn der Veranstaltung begrüßt uns der Botschafter Dr. Conze, danach stehen wir eigentlich nur noch die ganze Zeit im gepflegten Residenzgarten, reden mit fremden Leuten deutsch, trinken fränkischen Wein aus Boxbeuteln und lassen uns Bratwursthäppchen reichen. Afrika ist in diesem Augenblick gefühlt sehr weit weg. Der Abend hat anscheinend nur die Vernetzung von Freiwilligen, Organisationen und der Botschaft zum Zweck. Das gelingt meiner Meinung nach eher mäßig. Irgendwie ein bisschen absurd dieser Abend, aber auch schön!
Im letzten Jahr hat FABIO ein Projekt namens „Cycle to School“ durchgeführt, bei dem Kinder einer Schule in Budondo mit Fahrrädern ausgestattet wurden. Nun ist es wieder an der Zeit, eine Umfrage bei Kindern, Eltern und Lehrern über die Nutzung und die Auswirkungen der Räder durchzuführen. Das gehört zum „Monitoring and Evaluation“, das FABIO nach Projekten standardmäßig durchführt.
Also fahre ich eines Tages zusammen mit Brian, Georg nach Budondo. Auch Georgs Bruder und dessen Freundin aus Deutschland sind dabei. Sie organisieren in Deutschland maßgeblich den FABIO Deutschland e.V., der Fundraising für uns betreibt.
Die Schule ist relativ groß, die Gebäude bilden einen weitläufigen Innenhof. Als wir ankommen, findet gerade die Essensausgabe statt und die Schüler und Schülerinnen sitzen im Gras und essen. Da die Lehrer die Fragebögen später im Unterricht ausfüllen lassen wollen, bleibt uns zwei Stunden eigentlich nichts zu tun. Wir beschließen, eine nahegelegene Weberei zu besuchen, von der Georg mal gehört hat. Dort angekommen bekommen wir eine kleine Führung. In der Weberei wird wirklich alles von Hand gemacht, benutzt werden alte Webstühle. Die erzeugte Ware ist wirklich sehr hochwertig und wird im kleinen Laden nebenan verkauft. Es ist sehr interessant, den Leuten zuzusehen und es erinnert mich gleich daran, wie wir in der Schule mal gewebt haben. Schade, dass es hier nur so wenig solcher Initiativen gibt.
Zurück an der Schule sind alle Bögen fertig ausgefüllt und es geht zurück nach Jinja. Nun müssen wir diese nur noch auswerten.
Auch die „Organization Assessment Meetings“ von FABIO finden noch ein paarmal statt. Wieder treffen wir uns mit unserer Beraterin und reden viel über die Organisation, seine Ziele, Werte, Mission und Vision. Das ist manchmal sehr interessant, zieht sich auf die Dauer aber auch ganz schön in die Länge. Immerhin steht nun, nach Abschluss des Prozesses, ein neuer Organization Development Plan sowie ein Strategieplan für die Zukunft.
Mitte November machen wir zusammen mit Tashina, Joana und Pia, drei anderen Freiwilligen in Jinja, einen mehrtätigen Ausflug zu den Murchison Falls, einem der größten Nationalparks Ugandas. Es ist für uns eigentlich das erste Mal, dass wir mal mehr sehen von dem Land, bis jetzt sind wir immer zwischen Jinja und Kampala gependelt. Der Park liegt im zentralen Westen Ugandas, direkt an der Grenze zum Kongo. Hier fließt der Viktoria-Nil in den Albertsee und verlässt diesen als Albert-Nil wieder. Ein Kollege von Jakob hat uns einen Guide organisiert, der uns direkt aus Jinja mit dem Auto abholt, was die ca. achtstündige Anreise wesentlich komfortabler macht.
Wir uns darauf eingestellt, großen und sehr großen Tieren zu begegnen. Was wir aber nach dem Einritt in den Park als erstes sehen ist: eine kleine Schildkröte, die vor uns gemächlich die Straße überquert. Doch schon kurz darauf ruft irgendjemand „Elefant“! Tatsächlich. Da steht er also, keine zwanzig Meter entfernt und glotzt uns fassungslos an und wir glotzen fassungslos zurück. Es ist wirklich erstaunlich, wieviel Tiere wir allein am ersten Tag sehen: Giraffen, Elefanten, Antilopen, Büffel, Wildschweine, Affen. Und in der Nacht in der Lodge im Park besucht uns Gloria, ein riesiges Nilpferd und ihre Tochter und grast friedlich auf dem Zeltplatz.
Der nächste Tag beinhaltet dann nochmal einen Gamedrive bis zum Albertsee und eine Bootstour zu den imposanten Wasserfällen, wo wir nochmal wahnsinnig vielen Nilpferde, ein paar Krokodilen, vor allem aber wahnsinnig vielen Touristen begegnen. Am schönsten in Erinnerung bleibt mir von dem Ausflug aber die abendliche Fahrt zurück in die Unterkunft. Abendrot, endlose Savanne, Akazien, Giraffenherden am Horizont… Es entspricht so sehr diesen ganzen Afrika-Klischees und den Bildern von diesem Kontinent in unserem Köpfen, dass es schon fast schon kitschig wirkt.
In der Woche danach verkündet mir meine Chefin eines Tages, dass uns MUBS, die „Makerere University Business School“ in Jinja zu einer Konferenz im Rahmen der „Global Entrepreneur Week“ geladen hat. Es sollen dort innovative Beispiele von Unternehmertum vorgestellt werden. Auf FABIO wurden die Organisatoren über die Facebook-Posts über unser Fahrrad-Ambulanz-Projekt aufmerksam. Auch wenn wir die nicht verkaufen, war man wohl von der Idee beeindruckt. Das ganze soll mit einer abendlichen Auftaktveranstaltung beginnen. Also holt mich Georg abends ab und wir kommen pünktlich um sieben Uhr am Veranstaltungsort an. Und sind dort so gut wie allein. Nach einer halben Stunde kommen die anderen FABIO-Leute, nach einer Stunde trudeln die anderen Gäste ein und erst um halb zehn treffen die Ehrengäste aus Kampala ein. Irgendwie weiß keiner so recht, was an dem Abend eigentlich passieren soll und im Endeffekt passiert dann eigentlich auch nichts, außer dass gegessen und getanzt wird. Interessant dabei: Während sich die Studenten im Hintergrund halten und bald wieder gehen, feiern und tanzen die Professoren und Professorinnen ausgiebig!
Die eigentliche Konferenz am nächsten Tag findet in einer „Berufsschule für den öffentlichen Sektor“ statt, in riesiges Gebäude mit großem Eingangsbereich und klimatisierten Räumen. Nur scheint hier eigentlich nicht wirklich etwas los zu sein, alles wirkt ziemlich ungenutzt. Bei der Veranstaltung reden dann vor allem Unternehmer vor ca. 50 Studenten über ihre Erfahrungen, auch wir dürfen das Fahrrad-Ambulanz-Projekt kurz vorstellen. Auch dabei ist ein Professor aus Kampala der das Franchising-Konzept in den Himmel lobt und alle Anwesenden auffordert, auch Franchising-Unternehmen zu gründen. Auch wenn des in den ganzen Vorträgen hauptsächlich um mehr Profit und Wachstum geht und wenig um Soziales, verstehe ich jetzt doch, warum man auch uns eingeladen hat. Denn im Grunde ist das ja genau das, was wir als FABIO in vielen Projekten machen: wir unterstützen Menschen durch Fahrräder, ihr eigenes Geld durch Verkauf und Transport von Waren zu verdienen. Also fördern wir Unternehmertum, auch wenn die Menschen nicht gleich zu Franchise-Unternehmern werden.
Auch beim vorletzten Gruppenspiel der ugandischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Cap Verde sind wir in Kampala im Stadion. Diesmal kommen wir zum Glück weniger problemlos ins Stadion. Theoretisch würde den Cranes heute ein Unentschieden genügend um sich sicher für den Afrika-Cup in Kamerun zu qualifizieren. Das Spiel ist auf einem weit höheren Niveau als die Partie gegen Lesotho, die Westafrikanischer erweisen sich als deutlich schwererer Gegner. Am Ende gewinnt Uganda aber verdient mit 1:0 und ist somit Gruppenerster.
Am 17. November gibt die Hamburger Organisation „Viva con Agua“ ein Wohltätigkeitskonzert in Kampala, bei dem zahlreiche ugandische Rapper und Rapperinnen auftreten. Aus Deutschland ist niemand geringerer als Samy Deluxe angereist, ebenso wie der Newcomer Horst Wegener. Als wir in das Gebäude eintreten, sagt man uns, das Konzert finde im obersten Stockwerk statt. Und welche Überraschung: Es gibt einen funktionierenden Aufzug! Ein absolutes Novum für mich in Uganda. Als wir oben aus dem Aufzug treten, befinden wir uns auf einer weitläufigen Dachterasse, von der man einen großartigen Blick auf die leuchtende Hauptstadt hat. Da man nur eine Bühne hat und über 30 Künstler, ist das Program wahnsinnig eng getaktet, jeder Künstler erhält nur ca. 10 Minuten, zu unserem Bedauern auch Samy Deluxe. Trotzdem ein unvergesslicher Abend, auch weil wir viele neue Bekanntschaften machen konnten.
Über unsere Entsendeorganisation Artefact kennen wir Mitfreiwillige in Ruanda, die wir unbedingt mal besuchen wollen. Also nehmen wir uns ein paar Tage frei und stopfen uns Dienstag Nachmittags ins Matatu nach Kampala. Dort angekommen müssen wir erstmal ca. eine halbe Stunde durch die völlig überfüllte Downtown laufen, bis wir endlich den Busbahnhof von Modern Coast erreichen. Mit unseren großen Rucksäcken in der Dunkelheit ist das alles andere als entspannt, einmal versucht jemand, von hinten meinen Rucksack zu öffnen, was Jakob gerade noch verhindern kann. Wir sind froh, endlich im Bus zu sitzen, einem großen komfortablen Reisebus wie man ihn aus Deutschland kennt. Der Bus nimmt fahrt auf, da wir fast allein im Bus sitzen, können wir uns ausstrecken und schon bald fallen mir die Augen z… BUMM! BUMM! BUMM! Ich fliege gefühlt zwei Zentimeter nach oben. Oje. An Schlaf ist bei den brutalen ugandischen Geschwindigkeitsstoppern, die sich in jeder Ortschaft befinden, leider nicht zu denken. Das kann ja lustig werden. Zusätzlich wird es mit der Zeit immer eisiger im Bus. Ich fange schon an, auf die dumme Klimaanlage zu schimpfen. Um ca. drei Uhr morgens erreichen wir dann die ruandische Grenze. Als ich aus dem Bus steige, verkrampf sich alles in mir. Nicht die Klimaanlage war so kalt, sondern draußen ist es so zapfig! Wahrscheinlich hat es um die acht Grad, aber ich bin nichts mehr gewöhnt und stehe mit zwei Pullovern und Jacke bibbernd in der Eiseskälte. Da wir unsere ugandische Work-Permits erhalten haben, dürfen wir wie alle anderen Bürger Ugandas kostenlos nach Kenia und eben auch Ruanda reisen. Nachdem wir zwei Stunden gefroren haben, unsere Rucksäcke auf Plastiktüten durchsucht wurden (die sind in Ruanda genauso wie in Uganda verboten, nur dass das Gesetz in Ruanda auch durchgesetzt wird) und dem Grenzbeamten viele dumme Fragen beantworten haben, geht es endlich wieder weiter. Und welch Glück: In Ruanda gibt es auf den Schnellstraßen keine Speedbraker und ich kann endlich etwas schlafen.
Als ich um 7 Uhr aufwache, steuern wir gerade auf die Ruandische Hauptstadt Kigali zu. Wir sind umgeben von grünen Hügeln und Teefeldern, vor uns auf dem Hügel erhebt sich die Kulisse der Stadt. Drei Dinge, die ich aus Uganda nicht kenne, fallen mir sofort auf. Erstens haben wir hier wieder Rechtsverkehr. Zweitens schauen die Boda-Bodas hier anders aus. Und drittens ist es unfassbar sauber! Durch der Innenstadt Kigalis ziehen Putzkolonnen und heben jeden noch so kleinen Schmutz. Dagegen ist Kampala ein einziges Schmutzloch. Überhaupt ist das kleine Nachbarland wirklich viel organisierter als Uganda. Es gibt z.B. Linienbusse mit festen Abfahrtszeiten, bezahlen kann man dafür bargeldlos mit einer speziellen Karte, die man beim Ein- und Aussteigen des Busses an einen Sensor hält. Sind wir hier noch in Afrika? Auf jedem Fall nicht in dem, das man sich in Europa vorstellt. Dabei macht Ruanda lediglich vor, wie es laufen kann, wenn es eine kompetente Regierung gibt. Vielleicht liegt das ja auch an den zahlreichen Frauen in der Regierung. In Sachen Geschlechtergleichheit ist Ruanda auch den meisten europäische Staaten weit voraus, das Parlament hat mit über 50 % den höchsten Frauenanteil der Welt.
Nachdem wir eine zeitlang ein Café suchend durch das Bankenviertel gelaufen sind (im Gegensatz zu Uganda gibt es in Ruanda kein Streetfood, Essen ist aus Respekt vor den Armen auf der Straße verboten), finden wir endlich ein kleines Restaurant, in dem wir auf Freddy treffen. Er ist auch deutscher Freiwilliger und zeigt uns den Weg zum Bus, den wir für die Weiterreise nehmen müssen. Und siehe da: Trotz der festen Abfahrtszeiten gilt auch in Ruanda „african time“, sodass wir erst eine Stunde später losfahren. Nach 5 Stunden Geschaukel durch die ruandische Pampa und ohrenbetäubender Gospelmusik aus dem Lautsprecher kommen wir dann endlich in Ngarama an, dem Dorf, in dem unsere Freunde Linus und Letizia wohnen. Dort verbringen wir insgesamt zwei Nächte. Die beiden zeigen uns ihre Arbeitsprojekte, ein Einrichtung für Menschen mit Behinderung und eine Schule. Hier auf dem Land ist von dem Glanz Kigalis nicht mehr wirklich viel übrig. Lediglich die hügelige Landschaft und die schlechten Englischkenntnisse der Einwohner erinnern uns daran, dass wir uns nicht in Uganda befinden. Meine Französischkenntnisse helfen mir durchaus weiter, da ich ja nicht mal mit meinen kleinen Luganda-Wortschatz weiterkomme. Die ehemalige deutsche und dann belgische Kolonie hat vor ein paar Jahren die Amtssprache von Französisch in Englisch umgestellt, trotzdem scheint das hier noch nicht durchgedrungen zu sein. Auf dem ruandischen Land wird meist Kinyarwanda und Französisch gesprochen.
Zwei Tage später fahren wir zusammen mit Letizia und Linus wieder zurück nach Kigali und schauen uns zusammen die Stadt an und erkunden vor allem auch das Nachtleben. Zusammen mit Jakob besuche ich auch das Genozide Memorial Centre. Es ist tief schockierend und bewegend, was in diesem Land vor gerade einmal 24 Jahren passiert ist. Die erste Ausstellung berichtet eindringlich über den Völkermord in Ruanda, der Schätzungen zufolge 800.000 bis einer Million Menschen das Leben gekostet hat. Im zweiten Teil geht es unter Anderem um Völkermorde in Kambodscha, Namibia, Bosnien Herzegowina und natürlich auch um den Holocaust. Und im dritten Teil werden Kinder vorgestellt, die 1994 in Ruanda ihr Leben verloren haben. Draußen befindet sich dann das eigentliche Denkmal, eine Anlage mit Gräbern, Rosengarten und Wasserbecken.
Zurück in Uganda gibt es gleich wieder einiges zu tun. Die Vorbereitungen für die Übergabe der Fahrradambulanzen befindet sich auf den letzten Metern. Am Samstag mieten wir einen kleinen LKW, packen alle Ambulanzen sowie Fahrräder, Werkzeug und vieles weitere darauf und fahren nach Budondo im Norden Jinjas. Dort schrauben wir alle Ambulanzen zusammen und lagern sie für den nächsten Tag im Verwaltungsgebäude von Budondo Sub-County. Am nächsten Tag radeln wir die Ambulanzen dann zum Health Center, wo die Übergabe stattfinden wird. Helfer stellen Zelte, Stühle und eine Soundanlage auf, während wir alles weitere vorbereiten. Es treffen um die 50 Leute ein, hauptsächlich Mitglieder der ehrenamtlich arbeitenden Village Health Teams, die die Fahrrad-Ambulanzen betreuen sollen. Der deutsche Botschafter in Kampala, der sich eigentlich angekündigt hatte, muss leider kurzfristig absagen. Meine Kollegen meinen daraufhin, dass einfach ich den deutschen Botschafter machen soll, woraufhin ich höflich ablehne.
Los geht das ganze obligatorisch mit den Nationalhymnen Ugandas und des Königreichs Busoga sowie einem Gebet. Es folgen zahlreiche Reden von meiner Chefin und lokalen Politikern. Im Anschluss erklärt dann Brian genau, wie die Ambulanzen funktionieren, was im Erste-Hilfe-Set enthalten ist und dass wir zusätzlich zu den Ambulanzen noch Regenmäntel, Gummistiefel, Warnwesten und Werkzeug verteilen. Es ist wirklich interessant, denn die Reden gleichen eher einem Frage-Antwort-Spiel, bei dem die Zuhörer immer einzelne Wörter ergänzen müssen. Es ist mir schon früher aufgefallen, dass die Ugander gerne einzelne Wörter mit „was?“ ersetzen, woraufhin der Gesprächspartner den Satz ergänzen muss. Ich bin meistens aufgeschmissen und habe keine Ahnung, was mein Gegenüber hören will, aber die versammelte Gemeinde in Budondo erweist sich als außerordentlich textsicher und ruft die Wörter wie aus einem Mund zum Redner. „Bulensi zaffe ziyamba kuleta bantu ku ki?“ „Mu Eddwaliro!“ antortet die Menge. Unsere Ambulanzen helfen, die Menschen wohin zu bringen? Ins Krankenhaus.
Am Ende der Veranstaltung dürfen die Fahrradambulanzen dann ausprobiert werden, was zu allgemeiner Erheiterung führt. Meine Aufgabe während der ganzen Übergabe ist, alles fotographisch zu dokumentieren. Bis jetzt ein rundum gelungenes Projekt, mal sehen, wie es in der Praxis funktionieren wird.
Viele Grüße und bis zum nächsten Mal!
Euer Franz