Ngarama. Ein kleines, wunderschönes Dorf im Nordosten Ruandas, 4,5 Stunden von der Hauptstadt entfernt. Ein Dorf, in dem Ziegen noch Ziegen und Kinder noch Kinder sein dürfen. Wer morgens nicht von einer brüllenden Kuh geweckt wird, wacht spätestens auf, wenn die Schüler der Benebikira-School anfangen für mehrere Stunden lauthals zu singen. Dieses Schicksal ereilt auch mich jeden Morgen, mein Wecker ist mittlerweile überflüssig.
So beginnt mein Tag um 6 Uhr, während ich auf dem Weg zum Bad hoffe, dass wir Strom haben. Beim Verlassen des Hauses greife ich mir meinen Schreiblock und den Regenmantel (Das Irische Sprichwort „1 Tag 4 Jahreszeiten“ könnte auch aus Ruanda stammen) und beginne mit meiner morgendlichen Wanderung zu der anderen Seite des Dorfes.
Auf den Straßen von Ngarama riecht es nach Feuer, Schweiß und süßen Speisen. Ein paar Kinder spielen auf dem Rasen und ein „Good Morning“ tönt aus ihren Kehlen, wenn sie mich sehen. Schnell beschließt auch die restliche Kinderschar von Ngarama, in den Chor einzusteigen und ein stetiges, auch gerne aus 200 Metern Entfernung gerufenes „Umuzungu“ (eine Bezeichnung für wohlhabende Weiße) begleitet mein Gehen.
Nach heißen und vor allem lauten 45 Minuten erreiche ich das Wikwiheba Mwana Center. Die kleine Sandrine öffnet mir das Tor, umarmt mich und versucht mit einem Lächeln mehr schlecht als recht meinen Namen auszusprechen. Doch auch ich lächele und bin stolz und heilfroh, dass sie mich nicht mehr „Anna“ nennt. Auch die anderen Kinder kommen auf mich zugestürmt und ein wilder Austausch von Begrüßungen beginnt. Mit lautem Lachen setzen nun auch die Mothers des Centers (eine Art Ersatzmütter für die Kinder hier) und ich die Begrüßung fort. Jeden Morgen eine harte Probe für meine Kinyarwandakenntnisse (Kinyarwanda ist die Landessprache in Ruanda), denn ein englisches Wort erreicht hierbei nur ungern mein Ohr.
Pünktlich um 9 Uhr nach ruandischer Zeitrechnung (ich sitze auch gerne mal bis 10.30 Uhr alleine im Klassenzimmer und versuche hilflos 15 lachende und erwartungsvolle Kinder zu bändigen), beginnt der Sonderunterricht. Der Stundenplan an der Wand sieht hübsch aus und anscheinend ist dies auch seine einzige Aufgabe. Der Teacher, dessen wirklicher Name unbekannt ist, und ich denken uns leichte Matheaufgaben aus und malen mit den Kindern, für die Rechnen zu anspruchsvoll ist. Nach einer Stunde Matheunterricht, bei dem mehr gelacht wurde als bei manch einem in der gesamten Schulzeit, schlage ich ein „easy English“- Lernbuch auf und wiederhole mit ein paar Kindern die bereits gelernten Tierbegriffe. Die Kinder, die der Sprache mächtig sind, zeigen großen Ehrgeiz ihr Sprachrepertoire auch auf die englische Sprache zu erweitern. Doch der beliebteste Zeitvertreib ist und bleibt, mir Kinyarwanda beizubringen: es wird gelacht, wenn meine Aussprache, mal wieder typisch Deutsch – zu hart – ist und jeder möchte der Nächste sein, der mir die Übersetzung für „Ziege“ zuschreit.
Gegen 12 Uhr ist Essenszeit. Wenn meine Chefin Mediatrice, oder von allen nur Mama Kiki genannt, bei der ich jeden Tag zum Lunch geladen werde, noch nicht aus ihrem Büro in die Sonne getreten ist, helfe ich noch beim Füttern der Kinder. Nach dem monotonen aber äußerst schmackhaften Mahl bei Mama Kiki bestehend aus Nudeln, Bohnen und Maisbrot geht es zurück ins Center. Den Nachmittag verbringen wir mit Ballspielen, Memory oder dem sehr beliebten Mensch ärgere dich nicht, bei dem es wichtiger ist, mir die Farben beizubringen als wirklich zu spielen.
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Er war laut, anstrengend und ereignisreich aber vor allem voller Lachen und Freude. Erschöpft aber glücklich komme ich zuhause an. Den späten Nachmittag verbringen Linus und ich unglücklicherweise mit Waschen und Geschirrspülen, den Abend mit Kochen. Mit einem seufzen lassen wir uns auf die harten Sessel im Esszimmer sinken. Ich schaue nach draußen, während ich auf meinem Reis kaue und die Schüler der Benebikira-School zu ihren Abendgesängen ansetzen, um mit den Vögeln und Fröschen den nächtlichen Wettkampf um die lautesten Geräusche auszutragen. Hier in Ngarama, wo die Avocado besser schmeckt als irgendwo sonst, aber das Fleisch ungenießbar ist. Hier, wo die Leute dich immer am interessantesten finden und der Verkäufer auf dem Markt dein bester Freund ist. Ein Dorf in dem du dir bei Regen oder Dunkelheit alle Knochen brichst, das aber die Idylle aus einem Märchenbuch besitzt.
Ich lächele. Dieses Dorf ist eigen, es ist laut und bunt, aber vor allem ist es mein Zuhause geworden.
Hallo Letizia,
ein sehr schöner post – klasse geschrieben.
Liebe Grüße (natürlich auch an Linus)
Sven Diessner