Vom gegenseitigen Füttern und ungeplantem Trampen

Es ist schon weit nach Mitternacht als ich endlich den Flughafen verlasse und erstmals afrikanischen Boden betrete. Hier, 2334m über dem Meeresspiegel, sind es noch angenehme 15°C. Es ist das Ende der Regenzeit und solange es nicht regnet, kühlt die Temperatur nachts nur wenig ab. Ein unscheinbarer Mann kommt mir entgegen und ich erkenne ihn als meinen neuen Mitbewohner Yaye vom Foto wieder. Er sucht mit mir im Schlepptau nach einem günstigen Taxi ohne Ausländerzuschlag und kurz darauf rasen wir in Need-for-Speed-Manier durch leere Straßen nach Hause. Dort angekommen treffe ich auf einige Freunde und Bandkollegen von Yaye und erfahre, dass die Leere auf den Straßen den derzeitigen Spannungen (https:orf.at/stories/3021781) zwischen verschiedenen Volksgruppen geschuldet ist. Man sagt mir, dass etwa eine Stunde vor meinem Eintreffen von unserem Haus aus Schüsse zu hören waren. Wie ich später aus einer E-Mail des deutschen Auswärtigen Amtes erfahre, haben wohl fünf Personen versucht Polizisten ihre Waffen zu entwenden und sind dabei erschossen worden.

Keine drei Tage ist das nun her. Doch es kommt mir schon viel länger vor, so vieles habe ich gesehen, so viele Leute sind mir vorgestellt worden, und so schnell hat sich die sicherheitspolitische Lage zumindest dem Anschein nach wieder komplett entspannt (wozu vielleicht auch die hohen Präsenz an unterschiedlich bewaffneten Polizisten beiträgt).

Unser Innenhof

Ähnlich wie viele andere Grundstücke in der Gegend ist unseres von einer hohen Mauer umgeben (andere haben stattdessen oft auch mannshohe Wellblechzäune) und hat einen zentralen Innenhof, das von einem Haupthaus und einem kleineren Nebengebäude umringt ist. Yaye, mein Äthiopischer Mitbewohner, Musiker, Musiklehrer, Umweltschützer und vieles mehr, und ich teilen uns das Grundstück mit einem in der afrikanischen Union tätigen Franzosen, einer deutschen Praktikantin, die bei der UNESCO arbeitet, einer Äthiopierin, die irgendwas mit Finanzen macht, und einem Hund. Bisher habe ich von denen aber urlaubsbedingt nur Yaye und die Deutsche kennengelernt.

Die „weitere“ Dusche

Wir haben ein geräumiges Wohnzimmer, Küche, Bad (wie es auch in einer europäischen Studenten-WG aussehen könnte), eine weitere Dusche, jeder einen eigenen Schlafraum, eine Waschmaschine und seit neuestem auch WLAN (das gerade besonders praktisch ist, da momentan zeit- und stadtteilweise die mobilen Internetdaten gesperrt werden). Die Lage ist auch schön, ich fühle mich sehr wohl hier.

Injera

Mein erster Tag beginnt mit einem späten Frühstück mit Yaye und seinen Freunden. Wie später noch viel häufiger, gibt es Injera in einem kleinen Restaurant. Man reißt sich (mit einer vorher in einem Hinterzimmer frisch gewaschenen Hand) ein Stück vom leicht gesäuerten Fladenbrot ab, greift damit nach Fleisch, Salat oder Ähnlichem und steckt es sich in den eigenen Mund oder in den Mund eines anderen, wenn man seinen Respekt vor ihm ausdrücken möchte. Dazu gibt es traditionell Leitungswasser und Kaffee.

Ausblick vom nahe gelegenen Hügel (1)

Mit dem Magen hatte ich bisher entgegen aller Warnungen vor dem Leitungswasser noch überhaupt keine Probleme, obwohl ich es auch überall außerhalb von Restaurants trinke, um unnötigen Plastikmüll zu vermeiden und weil es sowieso auch bequemer und günstiger ist. Der Wasserfilter, den ich eigentlich extra dafür in Deutschland gekauft habe, kann also weiterhin im Koffer bleiben. Die viel größere Überraschung für alle, die mich besser kennen, wird eher sein, dass mir der äthiopische Kaffee schmeckt (könnte natürlich an meinen zwei Löffeln Zucker darin liegen, aber die sind hier auch nicht unüblich), sodass ich jetzt also nicht nur den einen Kaffee getrunken habe, sondern regelmäßig einen.

Ausblick vom nahe gelegenen Hügel (2)

Schon während des ganzen Tages bis dorthin telefoniert Yaye herum und bespricht sich mit seinen immer anwesenden Freunden, weil ich mit ihm schon mal zu meiner neuen Arbeitsstelle am Mexico-Square fahren wollte und nicht klar war, ob es dort zu neuen Demonstrationen kommt. Schließlich entscheiden wir uns dagegen und nach dem Kauf einer äthiopischen Sim-Karte für mich (für die mein Reisepass gescannt und mein Gesicht von einer Webcam aufgenommen wird) erklimmen wir nachmittags einen kleinen Berg, um den sich einige äußere Stadtteile formieren, und kehren auch erst in der Dunkelheit zurück.

Ausblick vom nahe gelegenen Hügel (3)

Meine Befürchtung in der Millionenstadt zwischen Häusern und Verkehr zu ersticken ohne ein Erholungsgebiet erreichen zu können (durch die ganzen alten stinken Autos kann man das Ersticken fast wörtlich nehmen), hat sich als daher als falsch erwiesen. Denn der Berg hat viel Natur zu bieten und ist von unserem Haus aus schnell fußläufig erreichbar.

In jedem dieser Busse können auf einer Kurzstrecke sogar bis zu 16 Fahrgäste einen (etwas kuscheligen) Sitzplatz finden

Am zweiten Tag nach meiner Ankunft ist auch mein aus Deutschland stammender Mentor, der Quality Manager, am Tegbare-id wieder in Addis Abeba angekommen. Ich fahre mit Yare zu ihm, wobei wir die Bustaxis benutzen. Wir müssen einmal umsteigen, wobei wir jeweils eine Kurzstecke fahren, und daher nur 1,50Birr (weniger als 0,05€) pro Person bezahlen. Eigentlich dürfen dort immer nur maximal 12 Personen mitfahren, doch für Kurzstrecken scheint die Regel nicht so streng ausgelegt zu werden und ich habe nicht nur einmal auch schon 16 Passagiere gezählt, den Fahrer und den (manchmal noch nicht ausgewachsenen) Kassierer nicht mitgezählt.  Mit meinem Mentor laufen wir zu meiner neuen Arbeitsstelle, aber das Thema Arbeit hebe ich mir für den nächsten Artikel auf. Zurück muss ich alleine fahren und finde prompt beim Umsteigen nicht die Stelle, von wo aus die Bustaxis zu meinem Block fahren. Ich frage ein paar Leute danach, die mir jedoch auch nicht weiterhelfen können, bis ich auf einen Polizisten treffe, der immerhin versteht, wo ich hin möchte und ein vorbeifahrendes Auto herbeiwinkt. Der freundliche Fahrer nimmt mich bis fast nach Hause mit und möchte nicht einmal Geld dafür von mir annehmen. Dafür habe ich jetzt zwei Visitenkarten von ihm, einmal fürs Anmieten von Wohnungen und Häusern und einmal für Stadtrundfahrten. Er erzählt, dass er erst zwei Tage zuvor aus Deutschland zurückgekommen ist, und es beschämt mich ein bisschen, dass er dort nicht nur positive Erfahrungen mit den Menschen gemacht hat.

Der dritte Tag war bisher nicht mehr so ereignisreich: Ein recht ruhiger Arbeitstag, die bekannte Fahrtstrecke (außer, dass ich auf dem Rückweg anstatt des zweiten Taxis diesmal gelaufen bin), zu essen wieder gutes Injera und Sambusa (in meinem Fall mit Linsen gefüllte frittierte Teigtaschen) vom Straßenverkauf, und dem Lauschen nach amharischen Tischgesprächen, wenn den anderen englisch zu anstrengend wird.

2 Antworten auf „Vom gegenseitigen Füttern und ungeplantem Trampen“

  1. Wenn man den Eintrag ließt kann man sich gut vorstellen wie viele Eindrücke du in den ersten Tagen gemacht hast, sehr schön! ich freue mich darauf mehr von dir und deiner Arbeit zu lesen!

    Gibt es eine Möglichkeit die Fotos in etwas größerer Version hochzuladen?

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