Heute ist es soweit, vier Wochen sind rum. Einen Monat alleine gelebt, einen Monat im Ausland.
Für viele mag das nichts Besonderes sein, schließlich geht eigentlich jeder irgendwann mal seinen eigenen Weg. Ob zum Studieren, für eine Ausbildung oder für ein Auslandsjahr, irgendwann kommt dieser Moment eigentlich immer. Und das ist ja auch nicht schlecht.
Aber halt trotzdem eine Umstellung.
Ich bin mir sicher, dass sich viele noch an die Zeit erinnern, wo sie zum ersten Mal langfristig das Elternhaus verlassen und ihr Leben fortan selber geregelt haben. Wie oft hat man es sich als Jugendlicher nicht gewünscht, endlich alleine und ohne die nervigen Eltern zu leben. Endlich unabhängig und frei zu sein.
Das komische ist nur, jetzt wo es soweit ist, klingt das doch nicht mehr ganz so schön wie damals. Versteht das bitte nicht falsch, ich habe mich ja auch freiwillig für das Jahr in Malawi entschieden, aber es sind die Kleinigkeiten, bei denen man anfängt, das ganze wieder zu hinterfragen und sich sein altes Leben zumindest in Teilen wieder zurück zu wünschen beginnt.
Auch wenn es sich vielleicht so anhört, unter Heimweh leide ich (soweit ich weiß) noch nicht.
„Ist es nicht irgendwie normal, wenn man sich nicht von seinem gewohnten Alltag trennen möchte, von all den Sachen, an die man sich gewöhnt und die man zu lieben gelernt hat?
Ich denke die Antwort ist ja.“
Samuel Grabowski
Und ja, mir ist selber bewusst, dass das die ganze Zeit so klingt als würde ich wieder zurück nach Deutschland wollen und mein altes Leben zurück haben wollen, und irgendwie muss ich sagen, dass das auch stimmt. Ich fürchte nur, dass das nicht mehr richtig möglich ist.
Mein altes Leben bestand aus einem mehr oder weniger festen Ablauf. Unter der Woche stand ich jeden Morgen gegen 6.40 Uhr auf, hatte 10 Minuten um mich fertig zu machen und danach (freiwilliger Weise) ohne Frühstück zum Bus zu gehen. Einmal in der Schule angekommen habe ich noch meine Hausaufgaben gemacht, schließlich hatte man ja noch 30 Minuten bevor der Unterricht begann, daraufhin dann den Tag in der Schule verbracht und zwischendurch dann meistens noch ein Brötchen oder Ähnliches als „Ersatz Frühstück“ geholt. Der Rückweg war dann auch wieder sehr entspannt, denn genauso wie auf dem Hinweg habe ich die 20 Minuten Busfahrt damit verbracht, etwas Energie in Form eines kleinen Schläfchens zu regenerieren.
Zuhause angekommen gab es dann meistens eine Kleinigkeit zum Mittagessen, wobei Kleinigkeit eigentlich oft nur aus ein paar Schnitten Brot bestand. Wenn etwas gekocht wurde, dann meist Abends für die ganze Familie. Die Zeit nach dem „Mittag“ habe ich dann oft damit verbracht, den Schultag mit Computerspielen, Videos oder Fernsehen hinter mir zu lassen. Mit dem Hund raus zu gehen hat dabei auch für eine Menge Bewegung und frische Luft gesorgt, sodass mein Tag dann meiner Meinung nach doch recht ausgewogen war.
Natürlich darf man dabei das ganze im Haushalt mitarbeiten nicht vergessen. Geschirrspüler ein- und ausräumen, Wäsche waschen und aufhängen, Staubsaugen oder mal den Rasen mähen, es gab schon einige Dinge, die sich nicht von alleine erledigt haben. Sogesehen war der Tag so gut wie nie richtig einseitig.
Aufgrund meiner Leidenschaft lange auf zu bleiben, habe ich auch sehr häufig die späte Runde mit dem Hund gedreht. Nachts noch einmal zu entspannen und etwas frische Luft zu tanken, war eigentlich garnicht so schlecht. Dabei war man nämlich so gut wie immer ungestört, weil komischer Weise um und kurz nach Mitternacht niemand mehr mit dem Hund rausgeht. Verstehe ich bis heute nicht.
Als Besonderheit zu meinem Alltag kamen dann noch ein paar Kleinigkeiten dazu. Mittwochs beispielsweise habe ich jede Woche für ca drei Stunden Zeitungen ausgetragen. Ich weiß nicht, ob ich der Einzige bin, aber für mich persönlich war das auch eine Art Sport. Klar, in erster Linie ging es dabei um das selbst verdiente Geld, auch wenn das anfangs nicht sehr viel war. 12 Euro für drei Stunden Arbeiten ist eigentlich nicht sehr fair, auch die 14 Euro, die ich aus „Fairness“ nach dem 18. Geburtstag meines Bruder bekommen habe, sind da auch nicht besser. Er hatte die gleiche Tour, nur halt am Samstag. Und als Volljähriger bekommt er halt Mindestlohn. Ab dann lohnt sich das erst richtig, leider bin ich nur halt kurz nach meinem Geburtstag nach Afrika aufgebrochen, konnte also nur zwei Monate das Zeitungen austragen richtig ausnutzen.
Wie gesagt, in meiner Empfindung ist Zeitungen austragen in gewisser Weise ein Sport. Drei Stunden am Stück mit dem Fahrrad fahren und zwischendurch etwas gehen, klingt jetzt vielleicht nicht sehr anstrengend, aber man hat ja auch die ganzen Zeitungen dabei. Zusammen mit dem Anhänger bin ich an manchen Tagen auf gute 100 Kilo gekommen, die ich zeitweise hinter mir herziehen musste.
Und dazu kommt dann ja auch noch das Wetter. Das eine mal musste ich natürlich am heißesten Tag des Jahres die Tour für meinen Bruder übernehmen, an manchen Tagen im Winter war es so kalt, dass ich meine Finger fast nicht mehr gespürt habe oder wenn ich nach nur fünf Minuten schon bis auf die Socken durchgeweicht war. Definitiv eine unvergessliche Zeit.
Vor knapp zwei Jahren habe ich mich dann noch entschieden, jeden Freitag Abend für ein bis zwei Stunden Badminton zu spielen. Also „jeden“ Freitag Abend, ich hatte ja eh nichts Anderes, um die Zeit besser zu nutzen.
Und das ist dann sozusagen mein Alltag gewesen. Mein altes Leben, was sich leider auch für das erste verabschiedet hat. Und zwar nicht nur für das eine Jahr, das ich jetzt hier in Malawi bin, sondern sehr wahrscheinlich auch für die Zeit danach. Zwar habe ich geplant zu studieren, aber ich werde in der Zeit wohl kaum weiterhin so gut versorgt werden wie bisher, schließlich werde ich dann vermutlich nicht mehr Zuhause wohnen.
Genau aus dem Grund sehe ich das Jahr in Malawi als den Anfang eines neuen Abschnittes meines Lebens an. Schon jetzt bin ich größtenteils auf mich alleine gestellt und das wird sich wahrscheinlich auch nie mehr so richtig ändern. Das richtige Leben beginnt jetzt, auch wenn ich noch keine Ahnung habe, was genau das ist, aber die entspannte und sorglose Zeit ist wohl für das erste vorbei.
Aber das ist ja gerade auch das Gute. Für mich ist jetzt fast alles neu, neben dem Land und der Kultur auch mein Alltag. Die alten Strukturen meines Lebens sind aufgebrochen und jetzt ist es die Zeit, neue zu entwickeln. Diese vier Wochen haben mir gezeigt, dass es nicht leicht wird, sich aber definitiv lohnt und dass sicherlich noch einige Überraschungen auf mich warten werden.
An dieser Stelle möchte ich mich bei all den Leuten bedanken, die mich bis zum jetzigen Tage begleitet haben. Ob Freunde oder Verwandte, ob Nachbarn oder flüchtige Bekanntschaften, ob Lehrer oder Schulkameraden, all diese und definitiv noch viel mehr Leute waren und sind Bestandteil meines Lebens. Es gibt auf jeden Fall Dinge, die anders oder vielleicht auch besser hätten verlaufen können, aber so wie es ist, ist es gut. Denn genau dadurch bin ich zu dem geworden, der ich heute bin. Ein Junge, der glaubt er sei erwachsen, gerade die Welt entdeckt und sich aus einem unerklärlichen Grund für einen Philosophen hält.